30 Mai 2016

Die Sexpause

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Die Sexpause oder das Sex"verbot" ist eine Intervention in der Sexualtherapie. Das zu verbieten, worum es eigentlich geht scheint verwunderlich. Soll das den Hunger auf Aktivitäten im Bett steigern oder handelt es sich gar um einen Therapeuten mit sehr konservativen Wertvorstellungen? Heute lade ich Sie werte LeserInnen zu einem Blick durchs Schlüsselloch der sexualtherapeutischen Praxis.

Im folgenden Fallbeispiel berichtet ein Paar in der letzten Zeit über Probleme beim Sex. Sexuelle Aktivitäten sind für SIE unangenehm bis schmerzhaft geworden, bei IHM bleibt die Erektion nicht immer sicher erhalten. Beide sind verunsichert, die Gynäkologein | der Androloge wurden schon besucht - organisch ist alles in Ordnung. OB, ohne Befund. Aber dennoch geht es beiden nicht gut mit dieser Beeinträchtigung. Gleitmittel und Erektionspille konnten nichts daran ändern, dass eine negative Erwartungsschleife entstanden ist. Bereits vor Beginn des sexuellen Zusammenseins tauchen Befürchtungen auf - hoffentlich klappts heute - was ist wenn nicht? Das muss doch!!

Wenn wir über den Bettrand hinausblicken und die Lebenslage des Paares genauer betrachten, findet sich sehr wohl ein "Befund":

Das Paar ist dabei, sich am Land häuslich einzurichten, viele Fahrtzeiten, Eile und Hektik und Baustelle. An einer der beiden Arbeitsstellen erhöhter Stress, weil ungewisse Zukunft. Eine|r der beiden macht sich gerade selbständig. Druck und Unsicherheit wohin man sieht. Statt abends zur Ruhe zu kommen vor'm PC sitzen, letzte Emails checken, planen, vorantreiben. Immer weniger gemeinsame Leerlaufzeit, also Zeit, in der sich entspannter Sex ergeben könnte. Entspanntheit ist die Grundvoraussetzung für reichhaltiges sexuelles Erleben.

 

Die Zeit und ihre Bedeutung für den Beziehungshaushalt - ein "Rechenbeispiel"

  • Weniger Zeit = weniger Berührung
  • Weniger Berührung = weniger Beruhigung & Entspannung (--- weniger Oxytocin)
  • Weniger Beruhigung & Entspannung = weniger Sex + dafür schnellere Aufregung (viel mehr ++Adrenalin, +++Cortisol)
  • Mehr Aufregung = weniger Achtsamkeit + weniger sich Spüren
  • Weniger Achtsamkeit = weniger Bezug auf sich & PartnerIN = weniger Freude in der Beziehung (weniger --- Dopamin, das "Belohnungs"hormon)
  • Aber weniger freudvolle Beziehung = leichtere Störbarkeit  =  mehr Missverständnisse + mehr Frustration, was sich auf die Beziehung auswirkt + Angst macht
  • Häufigere Frustration + Angst (vor Versagen) = Abwendung von PartnerIn + Zunahme von negative Erwartungen, Unsicherheit wird verstärkt.
  • Abwendung = weniger Zeit & weniger Berührung  ---> WIEDERHOLUNGSSCHLEIFE vollständig!

Das Verhalten bewirkt Veränderungen in der Körperchemie, diese wiederum steuert über das Vegetativum die Spannung in den Muskeln und Gefäßen. Der Durchblutungsgrad und der Muskeltonus beeinflussen wiederum die Wahrnehmung, das Gspür für unsere Körperregionen. Was nicht gut gespürt wird, kann sich nicht gut anfühlen. Wer sich nicht gut fühlt, spürt den anderen schwer.

Das Rechenbeispiel läßt sich auch umkehren: Viel Zeit = viel Berührung = Beruhigung = Achtsamkeit= ...

Liebe ist keine Nebensache. Liebevolles Handeln und Empfinden benötigt Zeit.

Nun kommt das Sexverbot als Intervention ins Spiel. Die sexuelle Dramaturgie, gemeint ist der genussvolle Aufbau einer Spannung zwischen zwei Liebenden, will neu geordnet werden.

Wie früher

Das Paar beginnt wie in der Anfangszeit des Verliebtseins, beinander Sitzen, Knutschen, Kuscheln - wieder mehr Zeit miteinander verbringen. ABER: Für die Verbotszeit  heisst es Finger weg vom genitalen Sex. Anheizen JA, Gusto holen JA, sich für einander sehr interessieren JA JA! Sich kleine Liebenswürdigkeiten zeigen und geben. Körperkontakt. 3x JA. In der Sexualtherapie gibts dazu noch entsprechende Übungen, die dem Paar mitgegeben werden. In der Verliebtheit war jedenfalls die Achtsamkeit äußerst hoch. Diesen Zustand gilt es wieder herbeizuführen. Jeder weiß, dass Verliebtheit selbst kein Dauerzustand bleiben kann. Aber die Bezogenheit auf einander läßt sich jederzeit wieder einrichten. Die ist keine Frage der Lust oder Geilheit oder der hormonellen Spitzen.

Leistung im Bett?

Was da beim Sex alles bedacht werden muss: Gleichzeitigkeit der Höhepunkte, jede und jeder immer vollstens zufrieden, kunstvolle Akrobatik, hingebungsvolle Stimulation bis zu vollendeter Entzückung, alle Wünsche (auch die unausgesprochenen) erfüllend, ausgefallen und doch vertraut. Lauter Kunststücke! Alles sollte passen, die Stimmung, alles richtig erfühlt, nicht zu viel und ned zweng. Schweißtreibend! Mutig sowieso, immer einfühlsam und doch kreativ eigenständig, ganz beim Partner/Partnerin ?

Ein Sexverbot auf Zeit bedeutet, den sexuellen Leistungsteil für eine Zeit lange vergessen lernen.

Zu Gunsten von mehr Achtsamkeit für einander.

 

Die Sexpause schafft eine Unterbrechung der (Angst-)Wiederholungsschleife und macht das Paar wieder körperbezogener auf einander. Frustrierende Erfahrung kann in Vergessenheit geraten, neue wie auch altbekannte Beziehungsrituale dürfen wieder aufleben.

Begegnung wird wieder eingeübt.

 

Allen LeserInnen einen schönen Juni mit vielen romantischen Stunden,

Martin Geiger